Orchideenvermehrung aus Samen für Anfänger, Teil 2

Begonnen von Claus, 08.Dez.08 um 18:07 Uhr

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Claus

Hallo,
heute geht es weiter.

Nach der Einführung und dem Teil 1 wollen wir uns mit der asymbiotischen Vermehrung von Orchideen befassen. Asymbiotisch, das heißt im Gegensatz zu symbiotisch, ohne die Zuhilfenahme von geeigneten Symbiosepilzen. Bei der asymbiotischen Kultur wird den Samen und später den Sämlingen auf einem Nährboden alles geboten, was sie zur Keimung und späterem Wachstum benötigen.

Bei Pflanzen anderer Familien ist das relativ einfach, man nimmt ein geeignetes Substrat, z.B. Aussaat- oder Blumenerde, sät die Samen darin aus und wartet auf die Keimung. Dies ist bei Orchideensamen leider nicht möglich, macht die Vermehrung aus Samen aber auch besonders interessant. Blumensamen z.B. benötigen im Boden vorhandene Mineralsalze und Wasser, um ihre keimenden Zellen aufzubauen, die dazu benötigte Energie bringen die Samen in Form von z.B. Stärke mit. Später sorgt die Sonne über die Photosynthese für die Energiezufuhr.

Orchideensamen benötigen ebenfalls Mineralsalze und Wasser, aber sie brauchen, da ohne Reservestoffe, auch einen Energiespender, das ist Zucker. Dies kann Haushaltszucker sein, sog. Saccharose, englisch auch ,,sucrose", aber auch Traubenzucker (Glucose) ist geeignet. Da von Traubenzucker behauptet wird, er könne beim Sterilisieren des Nährbodens pflanzenschädliche Produkte bilden, nehme ich auch der Einfachheit halber den Haushaltszucker.

Wir brauchen also zunächst einen Nährboden, der Zucker als Energiespender enthält, natürlich Wasser, und er muss eine relativ feste Konsistenz haben, weil die gekeimten Sämlinge in einer flüssigen Suppe über längere Zeit ertrinken würden. Außerdem sollen sie ja aufrecht wachsen, damit sie eine normale Form bekommen. Bewährt hat sich Agar-Agar als Geliermittel, ein Polysaccharid aus Algen, das nur schwer abzubauen ist und dadurch ein langzeitstabiles Gel bildet. Agar wird nicht von den Pflanzen als Nährstoff verbraucht, d.h. das Gel bleibt über viele Monate stabil. http://de.wikipedia.org/wiki/Agar Ich sage hier gleich, dass es nur ganz wenige alternative Stoffe gibt, und die sind auch teurer. Jedenfalls Gelatine, um diese Frage schon vorweg zu beantworten, ist ungeeignet, weil sie ein Stickstoffdünger ist, von den Pflanzen verarbeitet wird und sich verflüssigen würde.

Agar dagegen ist den Samen bzw. Pflanzen gegenüber inert, d.h. er dient nur als Unterlage, nicht aber der Ernährung der Sämlinge. Am einfachsten kann man einen Nährboden mit fein gemahlenem Agar herstellen, der in Reformhäusern erhältliche Agar in Blattform löst sich schlechter auf, ist aber verwendbar.  Man spricht ja vom ,,Nährboden kochen", d.h. der Agar löst sich im Wasser erst in der Siedehitze auf. Über die notwendige Menge an Agar ist viel diskutiert worden, ich verwende seit Jahren sehr erfolgreich den Agar von Omikron http://www.omikron-online.de/cgi-bin/cosmoshop/lshop.cgi in einer Menge von 6 g pro Liter. Nehme ich weniger, so wird mir der Agar zu weich, die Sämlinge kippen leichter um, nehme ich mehr, so haben die Sämlinge Schwierigkeiten, mit ihren noch winzigen Wurzeln einzudringen, um die Nährstoffe aufzunehmen.

Dann müssen wir den Pflanzen all das bieten, was sie zur Entwicklung von Blättern, Knolle und Wurzeln benötigen, also Dünger. Dazu gehören zunächst die Hauptnährstoffe Stickstoff, Kalium, Calcium, Magnesium, Schwefel und Phosphor. Stickstoff kann man sowohl in anorganischer Form liefern als auch in organischer. Man versucht normalerweise die Hauptnährstoffe miteinander zu kombinieren, also z.B. Kaliumnitrat (KNO3), Kaliumphosphat (KH2PO4), Calciumnitrat (Ca(NO3)2, Calciumphosphat (Ca3(PO4)2), Magnesiumsulfat (MgSO4). Ammoniumnitrat (NH4NO3) liefert auch Stickstoff, ist allerdings für viele Orchideenarten nicht geeignet, weil Ammonium eigentlich ein Pflanzengift ist, andere dagegen lieben es sehr. Also Vorsicht mit Ammoniumnitrat.

Organischen Stickstoff bekommen wir aus Hefeextrakt, Pepton, Caseinhydrolysat oder einem Aminosäuregemisch wie es in den Muckibuden verwendet wird. Die Unterschiede liegen darin, wie weit die Eiweißstoffe in diesen Zutaten bis zu den Aminosäuren abgebaut sind, außerdem in der Zusammensetzung der Aminosäuren. Fleisch, Hefe und Soja (für Pepton) sind halt unterschiedliche Stoffe, entsprechend variieren die Aminosäuren. Es gibt bislang keine Arbeit, in der die Abhängigkeit des Wachstums von den einzelnen Aminosäuren bestimmt worden wäre, lediglich einige wenige wurden auf ihre Wirkung hin untersucht. Bei 20 Aminosäuren wäre der Aufwand allerdings auch sehr hoch.

Harnstoff ist auch organischer Stickstoff, ich kenne aber kein Rezept für Orchideenböden, das Harnstoff verwendet.

Dann brauchen alle Pflanzen Spurenelemente, das sind hier Eisen (Fe), Mangan (Mn), Bor (B), Zink (Zn), Molybdän (Mo), Jod (I)  sowie winzige Mengen an Kupfer (Cu) und Kobalt (Co). Dass Orchideen auch Nickel (Ni) benötigen glaube ich nicht, die in einem amerikanischen Rezept angegebenen ganz winzigen Mengen von 0,001 mg/l Nickel halte ich für Unfug; denn durch das Kochen des Nährbodens in einem Edelstahltopf nimmt dieser sicherlich wesentlich mehr Nickel auf. In den käuflichen Nährböden sind die geringsten Mengen Kupfer und Kobalt mit 0,01 bzw. 0,1 mg pro Liter Nährboden. Es ist klar, dass man diese winzigen Mengen nicht abwiegen kann.

Die Spurenelemente werden daher über sog. Stammlösungen auf die notwendigen geringen Konzentrationen verdünnt. Dabei löst man zunächst eine genau abgewogene geringe Menge einer Substanz z.B. in 100 ml dest. Wasser und nimmt dann 1 oder 10 ml davon für 1 Liter Nährboden, wobei damit eine Verdünnung auf 1/100stel bzw. 1/10tel erreicht wird. Im Idealfall werden alle Spurenelemente außer Eisen in eine Stammlösung gebracht, von der dann z.B. 1 ml pro Liter Nährboden eingesetzt wird. So mache ich das, und das vereinfacht die Dosierung erheblich. Eisen wird am besten in sog. chelatisierter Form zugegeben, d.h. als Verbindung mit EDTA. Das EDTA-Molekül umfasst ein Eisenatom und verhindert somit, dass eine zu hohe Konzentration an Eisen entsteht. Erst wenn die Pflanzen Eisen aus dem Nährboden verbraucht haben, wird aus diesem Komplex weiteres Eisen freigegeben.

Soweit die Nährstoffe. Pflanzen benötigen aber noch mehr, und in einem Naturboden ist das kein Problem, diese Stoffe sind entweder durch andere Pflanzen in den Boden gebracht worden oder durch Mikroorganismen erzeugt. Im Aussaat- oder Umlegeglas muss man sie aber zugeben, andernfalls können sich die Sämlinge nicht richtig entwickeln. Jedenfalls hat sich die Zugabe von Vitaminen des B-Komplexes sehr bewährt. Das sind die Stoffe:

Thiamin (B1), Nicotinsäure (B3), Pyridoxinhydrochlorid (B6), Biotin und Folsäure. Manche geben auch Riboflavin (B2) und Pantothensäure (B5) zu. Am wichtigsten soll Thiamin sein

Zur guten Entwicklung benötigen Pflanzen auch noch bestimmte Phytohormone. In einer künstlichen Umgebung muss man diese auch zufügen, sonst wird man keine guten Ergebnisse erzielen, vor allem bei der Keimung. Eine Komponente sollte in keinem Orchideenboden fehlen, myo-Inosit. http://de.wikipedia.org/wiki/Inosit . Diese Substanz wirkt ähnlich wie ein Pflanzenhormon.

Richtige Pflanzenhormone sind Auxine und Cytokinine. Wer sich damit beschäftigen will, kann das nachlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Auxine und http://de.wikipedia.org/wiki/Cytokinine Die bekanntesten Auxine sind Indolylessigsäure (IAA) und α-Naphthylessigsäure (NAA), die bekanntesten Cytokinine sind Kinetin und Benzyladenin (BA). Diese Stoffe werden nur in ganz winzigen Mengen zugesetzt, d.h. im Beispiel Benzyladenin ca. 0,2 ppm, das sind 0,2 mg pro Liter Nährboden, bei Kinetin ca. 0,5 ppm. Oft werden Auxine und Cytokinine miteinander kombiniert, z.B. 0,2 ppm IAA und 0,5 ppm Kinetin. Benzyladenin wird in der Literatur auch unter der Bezeichnung Benzylaminopurin (BAP), Kinetin auch unter der Bezeichnung 6-Furfurylaminopurin geführt, die Stoffe sind aber identisch.

Es gehört schon eine ganze Menge Kunst dazu, so kleine Mengen überhaupt abzumessen. Zum Glück haben aber Wissenschaftler bereits andere Zusätze gefunden, die sowohl Vitamine und Spurenelemente als auch Pflanzenhormone enthalten, ohne dass man genau weiß wie viel wovon enthalten ist: Ananas, Kokoswasser, Kartoffel, Banane und eine schwedische Kohlrübe. Damit kann man schon etwas anfangen, ohne Analysenwaage und schwierige Beschaffung der Chemikalien. Man nimmt an, dass in diesen pflanzlichen Zusätzen weiter noch unbekannte Stoffe enthalten sind, welche Wachstum und Entwicklung fördern können. Der früher häufig verwendete Birkenblutungssaft taucht in neueren Rezepturen nicht mehr auf, evtl. ist er in kommerziellen Nährböden wie z.B. TGZ enthalten. Birkenblutungssaft wird in der kurzen Zeit vor dem Austrieb der Blätter geerntet, er soll z.B. IAA und Glutamin, außerdem als Zucker Fructose und Glucose, in Summe ca. 1% enthalten. Ich habe mit Birkenblutungssaft keine besonders herausragenden Ergebnisse erzielt.

Ich habe seinerzeit natürlich auch nicht gleich so komplexe Nährböden gekocht. Einer meiner ersten Nährböden war der sog. Allan-Boden aus:

2,5 g Hefeextrakt aus dem Reformhaus (nicht ideal, besser Laborqualität einsetzen!)
1,5 g Sojapepton
7,5 g Zucker
3 g Agar
500 ml dest. Wasser

Man könnte dem Nährboden noch 2% Ananassaft oder 10% Kokoswasser, bezogen auf die Flüssigkeitsmenge zusetzen, um bessere Keimraten zu erhalten. Auch Kombinationen von Ananas und Kokos können überraschende Ergebnisse bringen, beliebt ist auch Kartoffelextrakt. Im Internet gibt es viele solcher einfachen Rezepturen, allerdings funktionieren diese nicht mehr bei den schwierigeren Arten. Einen guten Überblick über viele Rezepturen findet ihr hier:
http://members.cox.net/lmlauman/osp/html/mcsg_database.html

Sehr schön ist auch die Anleitung von Dr. Svante Malmgren, ein schwedischer Chirurg, der sich seit vielen Jahren sehr erfolgreich mit der Vermehrung von Erdorchideen beschäftigt.
http://www.lidaforsgarden.com/Orchids/engelsk.htm

Jetzt haben wir alle Zutaten zu einem Nährboden. Halt, da fehlt noch etwas: Aktivkohle. Viele Orchideenarten bilden auf diesen künstlichen Nährböden sog. Phenole, das sind hochmolekulare Verbindungen, an denen Phenolgruppen hängen. Phenole sind aber ganz starke Pflanzengifte, wenn man nichts dagegen tut, so vergiften sich die Pflanzen selbst.

Eine Methode dies zu verhindern oder zumindest abzumildern, ist die Zugabe von Aktivkohle. Diese Substanz hat eine riesige innere Oberfläche, auf der alle möglichen Stoffe hängen bleiben können, auch die Phenole, die damit aus dem Verkehr gezogen werden. Falls man aber Orchideenarten aussät, bei denen keine Phenolbildung erfolgt, und das sind viele, muss man sie auch nicht zusetzen.

Im Teil 3 gehe ich auf das notwendige sterile Arbeiten ein und zeige euch die notwendigen Werkzeuge.

Viele Grüße
Claus
Wer Chemiker werden will, muss Chemie studieren; wer Jurist oder Arzt werden will, muss Jura oder Medizin studieren. Aber um Politiker zu werden, ist lediglich das Studium der eigenen Interessen notwendig. (Max O'Rell)

Peter

Danke, Claus, für deine Ausführungen. Hervorragend! Das bringt Interessierte weiter.

Gruß
Peter
Grüße
P.

Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von Jedem! (Karl Valentin)

Felix

Ist es von vornherein ausgeschlossen, Regenwasser (anstatt dest. Wasser) für die Nährböden zu nehmen?

Claus

Natürlich kannst du auch Regenwasser verwenden oder entionisiertes oder Umkehrosmosewasser.
Wer Chemiker werden will, muss Chemie studieren; wer Jurist oder Arzt werden will, muss Jura oder Medizin studieren. Aber um Politiker zu werden, ist lediglich das Studium der eigenen Interessen notwendig. (Max O'Rell)

Berthold

Zitat von: MCroche am 24.Jun.14 um 19:56 Uhr
Ist es von vornherein ausgeschlossen, Regenwasser (anstatt dest. Wasser) für die Nährböden zu nehmen?

Ich nehme sogar meistens Trinkwasser aus dem Kran, und für den Haferflocken-Nährboden für die Pilzkultur sowieso.   
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Orchideen-Boerse

Huhu

Ich bin neu hier im Forum und finde diese Anleitung echt klasse.
Bis jetzt habe ich mir immer Flaschenkinder gekauft.
Der Wunsch es einfach mal selber zu versuchen ist schon
lange da, aber getraut habe ich mich noch nicht.

Leider funktioniert der oben genannte Rezepte-Link nicht.
Ist das nur bei mir so?
http://members.cox.net/lmlauman/osp/html/mcsg_database.html

LG
Michi

neil

Use this link for the media formula


http://web.archive.org/web/20101015013616/http://members.cox.net/lmlauman/osp/html/mcsg_database.html
Grüße von der süden küste Großbritannien

Claus

Zitat von: Michi1 am 04.Aug.14 um 00:53 Uhr

Leider funktioniert der oben genannte Rezepte-Link nicht.
Ist das nur bei mir so?
http://members.cox.net/lmlauman/osp/html/mcsg_database.html
LG
Michi

Leider hat Aaron Hicks seinen Provider wechseln müssen, und so gibt es nur noch den von Neil angegebenen Link mit dem gespeicherten Inhalt, nichts Aktuelles mehr.
Wer Chemiker werden will, muss Chemie studieren; wer Jurist oder Arzt werden will, muss Jura oder Medizin studieren. Aber um Politiker zu werden, ist lediglich das Studium der eigenen Interessen notwendig. (Max O'Rell)